Wer bin ich? - 6/11

Quelle:  pixabay
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Ich bin zu Hause.

Alle Menschen suchen und ersehnen ein Zuhause. Und wenn man fragt, wo sie dieses Zuhause finden, dann hört man Antworten wie diese: „Zuhause bedeutet für mich Familie, Zusammensein, umgeben zu sein von Menschen, die mich lieben …ein Zufluchtsort mit Geborgenheit, Sicherheit, Wohnen und Wohlfühlen … wo ich Mensch sein kann und in Ruhe leben … wo ich innere Ruhe finde und sein kann, wie ich bin.“[1]

Oft hat Zuhause mit der Familie zu tun. Manchmal aber ist es auch nur ein einzelner Mensch, der einen Ort zu einem Zuhause macht. Die Liedermacherin Lotte Rezbach zum Beispiel schreibt in ihrem Song  „Zuhause für mich“:

„Du siehst meine Fehler,

sagst, die sehen gut aus an mir.
Meine Zweifel wirfst du einfach raus,

die brauchen wir nicht mehr.
Du willst mich nicht verändern und das verändert mich.

Ich geh' mit dir, wohin du willst.
Baby, mehr brauch' ich nicht.
Ich will, dass es jeder weiß: Du bist das Größte für mich
Du bist Zuhause für mich.
Nur bei dir sind meine Geister still.

Und ich kann mich wieder leichter fühlen.
Du bist Zuhause für mich.“[2]

 

Jeder Mensch sehnt sich nach einem Zuhause. Und wunderbar, wenn Menschen im Kreis der Familie oder bei einem einzelnen Menschen dieses Zuhause finden. Allerdings erleben leider auch alle Menschen, das jedes irdische Zuhause durchaus zerbrechlich ist. Es gibt Zeiten, da wird es eiskalt im Zuhause. Keine Geborgenheit mehr. Plötzlich steht man ganz allein. Verlassenheit und Ungeborgenheit brechen über einen herein.

Ein vierzehnjähriges Mädchen, das man gerade noch rechtzeitig nach einem Selbstmordversuch retten konnte, schrieb wenig später im Krankenhaus unter dem Titel: „Warum ich nicht mehr lebe will“ die folgenden erschütternden Zeilen:

„Immer nur das Dunkel

und das Heulen eines einsamen Hundes.eu

Hinter mir der Hörnerklang der Verfolger.

Geräusche in den Büschen

und versteckte Augen, die mich beobachten.

Niemals ein Wort oder ein Kuss der Freundschaft.

Niemals ein Sonnenaufgang.

Niemals ein Jubeln der Lerche.

Niemals eine Morgendämmerung für meine Augen zu sehen.

Immer nur das Dunkel.“ [3]

 

Wieviel Ungeborgenheit, wieviel Verlorenheit stecken in diesen Worten! Man kann es kaum ermessen. Ich meine: Sicher hatte doch auch dieses Mädchen eine Familie und ein Zuhause. Und doch: Wieviel Verlassenheit steckt in ihren Worten! Nein wirklich, wir alle sehnen uns nach einem Zuhause und erfahren dann doch oft genug wie ungeborgen wir sind, wenn die Komfortzone unseres Lebens zerbricht. Dann stehen wir allein da und fremd und verloren. Ohne Zuhause. Ohne Zuflucht. Ausgeliefert.

 

Der Molekularbiologe und Atheist Jacques Monod schrieb einmal: „Der Mensch muss aus seinem tausendjährigen Traum erwachen und seine totale Verlassenheit, seine radikale Fremdheit erkennen. Er weiß nun, dass er seinen Platz wie ein Zigeuner am Rande des Universums hat, das für seine Musik taub ist und gleichgültig gegen seine Hoffnungen, Leiden oder Verbrechen.“ [4]  

Mutige Worte von Herrn Monod. Aber in seinen Worten steckt auch ein Grauen darüber, dass der Mensch (seiner Meinung nach jedenfalls) so unendlich fremd und verlassen ist. Die Sehnsucht nach dem großen Zuhause kann auch Jacques Monod nicht unterdrücken, selbst wenn er ihre Erfüllung verneint.

So stehen wir vor einer paradoxen Situation: Alle sehnen sich nach einem Zuhause, wissen aber gleichzeitig, dass alle irdischen Zuhause begrenzt sind und zerbrechlich. Sie sind Zuhause auf Zeit.  Aber es ist von vornherein klar: Für die Größe und Tiefe unseres Lebens sind sie zu klein und zu schwach. Und dennoch bleibt in allen diese irre, diese nicht totzukriegende Sehnsucht nach einem großen Zuhause, die ihnen Beine macht. Diese schmerzhafte, treibende Sehnsucht nach einem Zuhause, das die große Geborgenheit bereithält, die bei den Menschen nicht zu finden ist.

 

(Fortsetzung folgt)

[3] Beitrag des Bishop of Pontefract anlässlich der Nationwide Initiative For Evangelism 1981 in Nottingham/England.