Eine Frage des Vertrauens. (4)

Quelle:  pixabay
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Schweren Herzens begannen wir umzuplanen: Als erstes brauchten wir eine Bleibe für die Nacht. Ohne die waren wir faktisch Obdachlose. Dies war der Augenblick, an dem Geraldine in unser Leben trat. Geraldine bot Übernachtung mit Frühstück und Garten an, und das zu einem unschlagbar günstigen Preis. Kurzerhand buchten wir - unter den Birken sitzend - ein Zimmer bei Geraldine und machten uns dann auf den Weg zu ihr.

 

Geraldines Haus trug die Nummer 104 und stand seinen Gästen fast vollständig zur Verfügung. Knarrende Holztreppen führten zu den Zimmern und dem geräumigen Bad. Aber auch Wohnzimmer, Küche und Garten waren zur Benutzung freigegeben. Ziegen tummelten sich auf dem Rasen, ein Swimming-Pool lud zum Baden ein und drei sehr freundliche Hunde begrüßten uns ausgelassen. Kühlschrank, Herd und Geschirr, aber auch Tische, Schränke und Gartenmöbel luden zur Benutzung ein. Höchst ungewöhnlich! Geraldine selbst war eine aktive, blonde Hairstylistin und Bankerin, die ihren Gästen fröhlich, unkompliziert und zugewandt begegnete. Geraldines Haus war nicht einfach eine Bed-and-Breakfast-Pension unter vielen. Es war eine Art von Zuhause, in dem die Gäste rasch zueinanderfanden. Nach dem strapaziösen Vormittag tat uns die Ankunft in Geraldines Haus unsagbar gut.

 

Wir stellten unser Gepäck ab und begannen dann, völlig neu zu planen. Zunächst brauchten wir eine Bleibe, in der wir auch tagsüber wohnen konnten. Nach einigem Suchen entschieden wir uns für eine kleine Ferienwohnung in Ault, einem Städtchen rund 30 Kilometer von Abbeville entfernt. Natürlich kostete die Ferienwohnung zusätzlich Geld, aber in den sauren Apfel mussten wir beißen. Eine andere Option existierte schlicht nicht.

 

Als Nächstes mussten wir herausfinden, wie wir Ault zusammen mit unserem Gepäck erreichen konnten. Ein Auto hatten wir ja nicht. Aber: Die Suche erwies sich als schwierig. Im Internet fanden wir zwar heraus, dass es sich um einen Bus mit der Nummer 702 handelte. Aber wo und zu welchen Zeiten dieser Bus in Abbeville abfuhr, verriet das Internet nicht. Haltestellen mit Fahrplänen für Regio-Busses gab es natürlich auch nicht. Aber - wiederum über das Internet - fanden wir heraus, dass es in Abbeville einen zentralen Busbahnhof gab.

Wir machten uns auf den Weg. Unglücklicherweise befand sich der Busbahnhof am entgegengesetzten Ende der Stadt. Seufzend machten wir uns auf den Weg durch die aufgeheizten Straßen. Binnen Kurzem stellte sich Durst bei uns ein. Aber noch hatten wir nichts herausgefunden. Also trotteten wir weiter.

 

Am Busbahnhof herrschte munteres Treiben. Busse kamen und gingen. Fahrpläne allerdings gab es auch hier keine. Alle (außer uns) schienen aber zu wissen, wann und mit welchem Ziel die verschiedenen Busse hier durchkamen.  Dann sprachen wir zwei Schüler an, die auf ihre Beförderung nach Hause warteten. Sie sprachen nur Französisch und praktisch kein Englisch. Trotzdem konnten wir ihren Worten entnehmen, dass sie Bus 702 schon mal hier gesehen hatten. Das war mehr als nichts, half uns aber auch nicht wirklich weiter. Dann fiel unser Blick auf eine monumentale Schule. Die beiden Schüler ermunterten uns, dort mit einem Deutsch- oder Englischlehrer zu sprechen. Die könnten uns sicher weiterhelfen. Wir machten uns auf den Weg.

 

Die Schule war gesichert wie Fort Knox. Aber eine Schülerin, die gerade herauskam, ließ uns durch das elektronisch gesicherte Tor ein. Wir eilten zum Empfang, wo die Schulsekretärin uns erwartungsvoll entgegensah. Mit der uns inzwischen geläufigen Mischung aus Englisch, Französisch und Händen machten wir ihr klar, dass wir auf der Suche nach Bus 702 waren. Sie beriet sich mit den anwesenden zwei Hausmeistern, druckte schließlich einen Fahrplan und händigte ihn an uns aus. In uns machte sich Erleichterung breit. Endlich hielten wir etwas Konkretes in Händen.

 

Aber ach, die Freude währte nur kurz. Als wir wieder auf der Straße standen, stellten wir fest, dass der Fahrplan nur für Juli/August galt. Wir aber hatten jetzt Juni. In unserer Not sprachen wir einen Busfahrer an, der gerade Pause machte. Er versicherte uns glaubwürdig, dass der Bus mit der Nummer 702 immer am Bahnhof der Stadt abführe. Wir atmeten tief durch. Der Bahnhof befand sich am entgegengesetzten Ende der Stadt.

 

Und wieder machten wir uns auf den Weg. Nach zwei Kilometern wurde der Durst so übermächtig, dass wir an einem Café anhielten und flüssiges Kaltes in uns hineinschütteten. Dann ging es weiter. - Am Bahnhof angekommen, sprachen wir einen Fahrkartenverkäufer in der Bahnhofshalle an. Der zuckte mit den Achseln und meinte, für Busse sei er nicht zuständig und er wisse auch nicht, wo und wann Bus 702 abführe. 

 

(Fortsetzung folgt.)