Capras Wunschtraum. Oder: Warum Grünalgen die Evolution infrage stellen. (2)

Quelle:  pixabay
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Da Capra die Vorstellung eines intelligenten Schöpfers ablehnt[1], muss ein anderes Prinzip an dessen Stelle treten. Capra nennt dieses Prinzip die Fähigkeit der Organismen zu „Selbsttranszendenz“[2]. Er schreibt: „Neuere Studien haben jedoch die Umrisse einer Evolutionstheorie entstehen lassen, die vermutlich Licht auf dieses auffallende Charakteristikum  lebender Organismen werfen wird. Es handelt sich um eine Systemlehre, die sich auf die Dynamik der Selbsttranszendenz konzentriert und auf Arbeiten zahlreicher Wissenschaftler aus verschiedenen Disziplinen beruht.“ [3]

Capra nennt als Protagonisten der Theorie von der Selbsttranszendenz der Organismen die Chemiker Ilya Prigogine und Manfred Eigen, die Biologen Conrad Waddington und Paul Weiss, den Anthropologen Gregory Bateson und die Systemtheoretiker Erich Jantsch und Ervin Laszlo.[4]

Capra geht inhaltlich auf die Studien der genannten Wissenschaftler nicht im Einzelnen ein. Er versucht aber die Theorie der Selbsttranszendenz der Organismen durch Fakten aus der Natur plausibel zu machen. Er weist zum Beispiel darauf hin, dass Menschen aus dem Flachland, die ins Hochgebirge reisen, wegen der dünneren Luft spontan mehr rote Blutkörperchen bilden [5]. Auch weist er darauf hin, dass Tiere auf kälteres Klima mit einem dickeren Pelz[6] reagieren.

An dieser Stelle irrt Capra, und zwar in zweifacher Weise:

1.       Zwar ist es unbestreitbar, dass Organismen sich veränderten Umweltbedingungen in gewissen Grenzen anpassen können. Diese Anpassung geschieht aber nicht aufgrund einer Fähigkeit zur kreativen Selbsttranszendenz, sondern aufgrund bereits vorhandener und höchst anspruchsvoller Programme, die derart komplex sind, dass ihre bloße Existenz ohne die Annahme eines intelligenten Schöpfers schlicht unerklärlich ist.

2.       Capra geht davon aus, dass Anpassungsprozesse wie etwa ein dickerer Pelz oder die vermehrte Bildung roter Blutkörperchen Teil eines größeren Evolutionsgeschehens seien, das am Ende zur Entstehung neuer Arten führe. Diese Annahme ist jedoch spekulativ, da sie in der Natur eben nicht konkret beobachtet werden kann. Die begrenzte Anpassungsfähigkeit von Organismen an veränderte Umweltbedingungen führt eben nicht zur Bildung neuer Tier- bzw. Pflanzenarten. Die Anpassungsfähigkeit endet, wenn das bereits vorhandene Anpassungsprogramm an seine Grenzen stößt. Capra verwechselt Mikro- und Makroevolution.

An dieser Stelle wird das Dilemma deutlich, in dem Capra mit seiner Theorie von der kreativen Selbsttranstendenz der Lebewesen steckt: Er sieht die enorme Komplexität des Lebens, weiß aber gleichzeitig, dass die klassische Evolutionslehre eben diese Komplexität nicht zu erklären vermag. Da er aber auf der anderen Seite die Existenz eines intelligenten Schöpfers a priori ausschließt [7], muss er irgendein kreatives Element postulieren, das die enorme Vielfalt des Lebens erklären kann: Die kreative Selbsttranszendenz der Organismen.

 



[1] Fritjof Capra, Wendezeit. Bausteine für ein neues Weltbild, Bern, München, Wien, 1990, S. 319f.

[2] Fritjof Capra, Wendezeit. Bausteine für ein neues Weltbild, Bern, München, Wien, 1990, S. 317.

[3] Fritjof Capra, Wendezeit. Bausteine für ein neues Weltbild, Bern, München, Wien, 1990, S. 317.

Capras Theorie von der „Selbsttranszendenz“ der Organismen hat in der internationalen wissenschaftlichen Diskussion zum Thema „Evolution“ bis heute keine Rolle gespielt.

[4] Fritjof Capra, Wendezeit. Bausteine für ein neues Weltbild, Bern, München, Wien, 1990, S. 317.

[5] Fritjof Capra, Wendezeit. Bausteine für ein neues Weltbild, Bern, München, Wien, 1990, S. 302.

[6] Fritjof Capra, Wendezeit. Bausteine für ein neues Weltbild, Bern, München, Wien, 1990, S. 303.

[7] Fritjof Capra, Wendezeit. Bausteine für ein neues Weltbild, Bern, München, Wien, 1990, S. 319f.