Verschwörungstheorien und ihre Hintergründe (1)

Verschwörungstheorien breiten sich in der bundesdeutschen Öffentlichkeit seit einiger Zeit mit erstaunlicher Geschwindigkeit aus.

„Bill Gates will die Weltherrschaft mittels implantierter Mikrochips an sich reißen.“ [1] – „Impfkampagnen sollen die Menschheit reduzieren.“[2] – Angela Merkel ist die Tochter von Adolf Hitler.“[3] – „Covid19 ist nur ein Vorwand für die Errichtung einer Diktatur.“ [4]

Was sind die Hintergründe?

Im Jahr 2015 kam es in der Bundesrepublik zu einem erheblichen Zustrom von Migranten. Ursache war eine humanitäre Ausnahmesituation, auf die man reagieren musste. Viele haben das verstanden. Aber es gab auch Verunsicherung. Sie wirkte lange nach.

Etwas zeitgleich traten Warner vor einer menschheitsbedrohenden Klima-Katastrophe lauter und unüberhörbarer hervor. Greta Thunbergs Ausspruch vor dem Weltwirtschaftsforum in Davos (Januar, 2019): „I want you to panic!. – Ich will, dass ihr in Panik geratet!“[5] fasste die Angst vor einer weltweiten, existentiell bedrohlichen Veränderung des Klimas klassisch in Worte. Auch dies vertiefte die Verunsicherung in vielen Menschen.

2019 tauchte das Covid19-Virus auf. Das Virus war neu und seine Gefährlichkeit schwer einzuschätzen. Seine Ausbreitung verlief ziemlich rasant. Auch dies verstärkte noch einmal die Verunsicherung, die bis heute nachwirkt.

Dazu kam ein weiterer Faktor: Im vergleichsweise beschützten Raum Westeuropas waren und sind die Menschen nur unzureichend darauf vorbereitet, mit existentiellen Bedrohungen umzugehen. Vieles in ihrem Leben ist abgesichert. Natürlich gab es immer schon Ängste und existentielle Bedrohungen im Leben des einzelnen (zum Beispiel ernste Erkrankungen). Nun aber waren plötzlich alle betroffen. Ansatzweise war das zwar in der Vergangenheit beim ersten Auftreten von AIDS auch schon der Fall gewesen. Aber medizinischer Fortschritt und die Safer-Sex-Kampagnen hatten relativ rasch zu einer Entspannung der Lage geführt. Jetzt aber  - mit der Kombination von mindestens drei Bedrohungen (weltweite Migrationsbewegungen, Klimawandel und Covis19-Pandemie) wurde das Gefühl existentieller Bedrohung massiv.

Das hatte vor allem eine Auswirkung: Viele Menschen kämpften und kämpfen mit echter existentieller Angst. Sie befürchten, ihren hart erarbeiteten, bescheidenen Wohlstand, ihren liebgewordenen Lebensstil, vielleicht sogar das Leben selbst zu verlieren. Alles, was sie sich mühevoll in Jahren aufgebaut hatten, scheint nun direkt bedroht. Es entsteht innere Panik.

Innere Panik sucht ein Ventil. Innere Panik sucht nach Lösungen und Erklärungen, die die diffuse und unkontrollierbar erscheinende Bedrohungssituation handhabbar und beherrschbar machen könnten: Verschwörungstheorien. Der Ausbruch der Covid19-Pandemie lieferte den Anstoß für eine explosionsartige Vermehrung und Ausbreitung neuer und alter Verschwörungstheorien.

Das Erstaunliche an solchen Verschwörungstheorien liegt darin, dass sie sich schnell verbreiten und zum Teil bereitwillig akzeptiert werden, obwohl sie in ihren Aussagen durchweg obskur und ihre Begründungen abenteuerlich (bzw. nicht vorhanden) sind.  Auch evangelikale Gemeinden sind betroffen. Hier wirken Verschwörungstheorien spaltend. Anhänger und Gegner von Verschwörungstheorien kapseln sich in Gemeinden voneinander ab. Kommunikation wird schwierig.

Oft genug bestehen die „Fakten“, auf die sich Verschwörungstheorien stützen, aus immer neuen und immer abenteuerlicheren Behauptungen, die einem Fakten-Check nicht standhalten. Trotzdem werden sie von erstaunlich vielen Menschen bereitwillig akzeptiert? Woran liegt das? Das ist die Frage.

Hier ist der Versuch einer Antwort: Viele Menschen haben existentiellen Bedrohungen nicht viel entgegenzusetzen. Sie geraten innerlich massiv unter Druck. Angst wird zum dominanten Bestandteil ihres Lebens. Auch Christen sind manchmal ungeübt darin, Angst vor existentiellen Bedrohungen geistlich zu bewältigen.

In dieser Situation bieten Verschwörungstheorien einen scheinbar leichten Ausweg: Sie führen die existentiellen Bedrohungen auf wenige, einfache Ursachen zurück und benennen konkret „Schuldige“, zum Beispiel Bill Gates oder Angela Merkel.

Verschwörungstheorien sind also nicht darum erfolgreich, weil sie überzeugende Fakten liefern (das tun sie definitiv nicht!). Sondern: Sie werden darum akzeptiert, weil sie eine ansonsten unkontrollierbare Angst scheinbar entschärfen. Der Boden, auf dem Verschwörungstheorien gedeihen, sind nicht Fakten, sondern Angst: Die Furcht, alles zu verlieren, letztlich die Furcht vor einem frühen Tod. Erfolg und Ausbreitung von Verschwörungstheorien spiegeln die Größe und das Ausmaß von Angst wider, die in der Bevölkerung eines Landes umgehen.