Suche (1)

Quelle:  pixabay
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Jeder Mensch ist auf der Suche.

 

Die Suche gehört zu ihm wie der Atem, wie die Liebe, wie der Hunger. Sie ist Teil seines Wesens. Sie fließt durch sein Leben wie ein dunkler reißender Strom.

 

Der Mensch sucht, seit er jenseits von Eden wohnt. Seine Suche zeigt, dass über seinem Leben ein Geheimnis liegt. Ein Geheimnis, das ihn nicht zur Ruhe kommen lässt. Ein Geheimnis, das ihn fragen und fragen lässt. Ein Geheimnis, das ihm Beine macht.

 

Jeder Mensch ist auf der Suche.

 

Aber er kann sie – wenn er alle Kräfte zusammennimmt -  in den Tiefen seines Lebens verschließen. Er kann sie wie in Beton einmauern und mit schweren Betondeckeln niederhalten. Das geht. Dann fließt der Strom seiner Suche unterirdisch weiter.

 

Suche ist Teil der einzigartigen Würde jedes Menschen. Aber manche ziehen es vor, sie zu verschließen. Sie fürchten die Unruhe, die die Suche in ihr Leben bringen könnte. Darum mauern sie sie ein, tief in sich. Sie mauern sie ein mit Anschaffungen: Einer schönen Wohnung, einem schicken Auto oder einem edlen Lebensstil. Sie mauern sie ein mit Hobbies, mit Reisen, mit Genuss, mit Stil, mit Spaß und mit Kultur. Sie mauern sie ein mit Anpassung an den Main-Stream. Sie mauern sie ein mit tausend Kleinigkeiten. Und sie verlieren damit einen Teil ihrer Würde als Mensch. Aber die Suche strömt weiter in ihnen: Dunkel, reißend, stark. Nur fühlen sie sie nicht mehr. Bloß ein schales Gefühl von Oberflächlichkeit erinnert sie manchmal daran, dass etwas mit ihnen nicht stimmt.

 

Jeder Mensch ist auf der Suche.

 

Und wenn irgendetwas geschieht, dass Risse in sein  Leben treibt, dann bricht die Suche wieder hervor: Stärker denn je. Schäumend. Brachial. Unaufhaltsam. Wenn der Tod einen Menschen wegreißt, der ihm viel, ja, alles bedeutet hat ...  Wenn der Arzt die erschreckende Diagnose verkündet .... Wenn die Liebe zerbricht oder wenn Enttäuschungen das Leben überfluten ... Dann kommt es dazu, dass die Suche aufbricht.

 

Aber es gibt auch das Andere: Dass die Suche aufbricht, weil ein Mensch unsagbar Schönes erlebt: Eine wundervolle Liebe, die ihn in den Tiefen seines Wesens berührt. Die Geburt eines Kindes. Ein Buch, das ihm die Weiten und Tiefen und die Rätsel seiner Seele zeigt. Oder Musik, die ihn zu Tränen rührt und eine Sehnsucht in ihm entfesselt, die ihn nicht mehr loslässt.

 

Wie auch immer es beginnt: Wenn die Suche aus den Tiefen aufbricht, reißt sie ihr Betonbett weg, verwandelt es in wirbelnde Trümmer und flutet bis in die Außenbezirke des Lebens hinein. Fragen brechen sich dann Bahn mit massiver Kraft:

 

Wozu bin ich hier?

Was ist das Ziel meines Lebens?

Wer bin ich?

Woher komme ich?

Wohin gehe ich?

 

Jeder Mensch ist auf der Suche.

 

Wohl dem, der es wagt, dieser Suche standzuhalten. Wohl dem, der die Turbulenzen nicht scheut, die sie ihm auferlegt. Wohl dem, der sich Beine machen lässt und dem dunklen Strom seiner  Suche folgt, bis er dort ankommt, wo das Finden längst schon auf ihn wartet.