Das vergiftete Leben (1)

Quelle:  pixabay
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Das Mädchen heißt Haseena, "die Lächelnde". Sie lebt im Norden des indischen Teilstaates Kerala. Sie lächelt viel, schaut mit neugierigen Augen in ihrem Zimmer umher, das seit ihrer frühen Kindheit fast alles ist, was sie von der Welt sehen kann. Will sie sich auf dem Bett bewegen, graben sich ihre verkrümmten Füße in die Matratze und schieben ihren verwundenen Körper an die Stelle, an der sie sich am liebsten aufhält: ans geöffnete Fenster. Dabei verzerrt sich ihr offenes Lächeln zu einer angestrengten Grimasse. Es ist ein grausamer Kampf gegen ihren verrenkten, verkrümmten Torso. Dann lächelt sie wieder, sie hat sich so bis zum offenen Fenster gerobbt. Das war nicht immer

so: Haseena ging früher in die Schule, spielte mit ihren Freundinnen – bis sie fünf Jahre alt wurde und das Gift in ihrem Körper zu wirken begann.

 

Haseenas Distorsionen sind die Folge des nervenwirksamen Insektizids "Endosulfan",

eine der vermeintlich segensreichen Entwicklungen eines großen deutschen Chemiekonzerns. Überzeugt von den Vorteilen, wurde die Chemikalie flächendeckend auf den 6.000 Hektar großen Cashewplantagen von Kasaragod mit Hubschraubern versprüht. Zweimal im Jahr, über 25 Jahre hinweg. Auch Haseenas Eltern arbeiteten auf den Plantagen. Ihre erstgeborene Tochter ist von dem Gift hochgradig geschädigt. Haseenas Leben ist – ein vergiftetes Leben.

 

Es gibt vergiftete Leben, die machen keine Schlagzeilen! Weil es so viele sind! Weil es sie überall gibt, rund um den Globus! Und: Weil sie etwas so Alltägliches darstellen: Alltägliche vergiftete Leben … Aber: Das Gift, das sie zugrunde richtet, stammt nicht aus der Chemie-Industrie. Trotzdem es ist nicht weniger tückisch! Es schädigt schleichend: Tag für Tag. Jahr für Jahr. Bis es das ganze Leben eines Menschen erfasst hat.

 

Welches Gift kann das Leben von Menschen kontaminieren? Zum Beispiel sind das Verletzungen der Seele.

Verletzungen, wie sie zum Beispiel bei einer Ehescheidung entstehen: Bei den Ehepartnern sowieso, aber noch viel mehr - bei den Kindern. Solche Verletzungen – werfen lange Schatten! Hier ist ein Beispiel:

 

Eine neunjährige Grundschülerin erzählt: „Scheidung ist wie Stacheldraht, Meine Eltern glauben, es ist längst alles vorbei und ich denke nicht mehr daran. Eine Weile läuft alles normal, aber dann stößt man wieder daran und es tut weh!."

 

Viele Schulkinder schämen sich, dass sie keine >vollständige< Familie vorweisen können und halten lange – unbeirrt von den Tatsachen neuer Partner – daran fest, dass Papa und Mama doch wieder zusammenziehen sollen. Scheidungskinder verlieren die Sicherheit einer geborgenen Kindheit. Das macht sie labil in ihren Stimmungen, unsicher in ihren Erwartungen und hinterlässt Verwirrung.

 

"In mir ist soviel Saures!!" sagt ein Junge, der voller Wut auf seine Mutter ist, die sich und ihren Sohn vom Vater getrennt hatte. Gerade Jungen werden durch die Scheidung der Eltern tief verletzt. Sie fühlen sich ohnmächtig, und das greift ihr Selbstwertgefühl an, was sie durch protziges oder aggressives Verhalten überspielen. Wenn die Eltern sich scheiden lassen, müssen die Kinder vernünftig und stark sein, wo sie heulen möchten. Sie müssen stark wirken, obwohl sie innerlich schwach sind. Sie müssen funktionieren, denn die Erwachsenen sind mit der Regelung ihrer eigenen Angelegenheiten beschäftigt. Bei den Eltern passen sie genau auf, was sie äußern, denn sie wissen ja, was der jeweilige Elternteil hören will. Sie lernen, Gefühle nur noch gefiltert auszudrücken – was sich dann auf spätere Beziehungen auswirkt. Und – sie haben später oft große Schwierigkeiten, sich vorbehaltlos an einen Partner zu binden. Tief innen glauben sie, dass Ehen sowieso immer in Scheidung enden. Und oft kommt es dann auch so. - Verletzungen, die uns im Kindesalter zugefügt werden, wirken lange, lange nach. Manchmal ein ganzes Leben.

 

Natürlich ist dies nur ein Beispiel für Verletzungen! Nicht nur Kinder erfahren Verletzungen! Erwachsene auch! Sie werden missachtet, gedemütigt, ausgenutzt, unterdrückt, gemobbt und ignoriert. Und immer hat das Verletzungen zur Folge, die das Leben vergiften. Oft gesellt sich dann auch eine große innere Bitterkeit hinzu, die das ganze Leben bitter macht. Alte Verletzungen werfen also oft - lange Schatten!

 

Und jetzt fragen wir sofort: Wie soll man mit solchen giftigen Verletzungen umgehen? Manchen gehen den Weg, und arbeiten die schlimmen Erfahrungen der Vergangenheit mit einem Therapeuten auf. Das kann helfen. Aber es gibt andere Möglichkeiten. Man kann seine Verletzungen zu Gott bringen. Und Gott ist keine nörgelige Gouvernante. Auch kein Polizist. Und erst recht nicht ein schwächlicher Opa, der von nichts ´ne Ahnung hat. Gott ist eine sehr machtvolle Person. Man kann ihn nicht sehen, aber er ist sehr real da. Und

er ist interessiert an allen Details unseres Lebens. Auch an unseren Verletzungen. Die will er heilen.

 

Wie läuft das ab, wenn Gott ein vergiftetes Leben heil macht? Wie geht Gott damit um, wenn Verletzungen unser Leben vergiften? Manchmal sieht das so aus, dass man – am besten in Gegenwart eines Seelsorger/in - die Verletzungen der eigenen Seele vor Jesus offen legt. Dann setzt dort eine Heilung ein. Manchmal gebraucht Gott aber auch einfach einen Gottesdienst, um Menschen mit Verletzungen in der Seele nahe zukommen

 

Eine, die das in ungewöhnlicher Weise erlebt hat, ist eine junge Frau, nennen wir sie Christine. Sie sucht den Traumprinz für´s Leben. Aber es scheint ihn nicht zu geben. Ihre Beziehungen halten nie lange. Für sie ist das ganz normal. Wenn die Gefühle weg sind, trennt man sich und sucht einen neuen Partner. Ruhelos taumelt sie so von Beziehung zu Beziehung. Dann wird sie ungewollt schwanger. Jetzt soll sich ihr Leben ändern. Sie heiratet den Vater des Kindes. Doch auch dieses Mal ist das Glück nur von kurzer Dauer. Die Ehe zerbricht, als ihr Mann sie betrügt. -  Sehr bewusst nimmt sie plötzlich in ihrem Bekanntenkreis wahr, dass viele Paare sich gegenseitig betrügen und Ehen zerbrechen. Auf Menschen, die an heile Beziehungen glauben, reagiert sie nur noch mit Sarkasmus. Ihre eigenen Affären werden jetzt noch kürzer. Sie sehnt sich nach einem Partner, aber ihre Suche endet in One-Night-Stands. In ihrem Herzen bleibt sie allein.

In dieser Zeit lernt sie einen ungewöhnlichen Arbeitskollegen kennen. Er lädt sie immer wieder in den Gottesdienst seiner Gemeinde ein, aber Christine lehnt dankend ab.

Ein Sonntag-Morgen  ändert ihre Einstellung. „Ich bin um fünf Uhr aufgewacht und mein ganzes Leben hat mich irgendwie angewidert. Dann habe ich  meinen Arbeitskollegen angerufen und gesagt: >Ich komme heute mit in den Gottesdienst.<“

Nervös macht sie sich auf den Weg, raucht eine Zigarette nach der anderen. Als sie endlich im Gottesdienst sitzt, überwältigen sie ihre Gefühle. Christine berichtet: „Die Musik fing an, und ich habe nur noch geheult. Ich habe gespürt: Gott ist mein Vater. Er ist hier. Ich bin zu Hause. In meinem Herzen war eine totale Ruhe, ein totaler Frieden. Wie nach einem Marathonlauf. Ich bin durchs Leben gerannt und gerannt – und jetzt bin ich zu Hause und kann mich ausruhen.“  In diesem Gottesdienst geht Christine eine persönliche Verbindung zu Gott ein. Eine Verbindung mit tiefgreifenden Folgen.

Rückblickend stellt sie fest: „Während ich in diesem Gottesdienstraum saß, habe ich gemerkt, dass mein altes rastloses Leben vorbei ist. Ich hatte diese bedingungslose Liebe gefunden, die ich immer in Partnerschaften oder in der Ehe gesucht habe und die doch kein Mensch geben kann. Ich habe sie in einer ganz anderen Form gefunden, als ich es je für möglich gehalten  hätte. Diese Lücke in meinem Herzen ist gefüllt worden, das kann und muss jetzt kein Partner mehr tun.“

Gott kann giftige Verletzungen der Seele berühren. Dann setzt dort Heilung ein. Wer sich dazu entschließt, sich Gott gegenüber zu öffnen, erfährt, dass das wirklich so ist.

(Quelle: Hof mit Himmel © R. Brockhaus Verlag Wuppertal 2005, S. 22 – 24.)