Geschwister (3)

Quelle:  pixabay
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Geschwister sind sich nahe. Sehen sich täglich. Verbringen sehr viel Zeit miteinander, deutlich mehr Zeit, als sie mit Freunden zubringen. Und das jahrelang! Natürlich entwickelt sich daraus ein komplexes und ungemein dichtes Beziehungsgeflecht.

 

Das hat genau dann eine positive Auswirkung, wenn das Beziehungsgeflecht durch Respekt, Annahme und Wertschätzung geprägt ist. Leider leben wir nicht in einer perfekten Welt. Das bedeutet: Die Beziehungen zwischen Geschwistern sind nicht immer von Respekt, Annahme und Wertschätzung geprägt. Oft genug bilden sich zwischen Geschwistern Rollen aus, die ungute Nebenwirkungen haben. Über die Jahre können sich diese Rollen mehr und mehr verfestigen. Dann wirken sie zerstörerisch.

Konkret: Der oder die Älteste der Geschwister hat oft eine führende Rolle. Das hängt mit dem Alter zusammen. Der Älteste hat einfach ein „Plus“  an Erfahrung und Überblick. Eine führende Rolle wächst ihm ganz natürlich zu.  Aber es steckt auch eine Gefahr darin: Die Versuchung der Macht. Älteste Geschwister stehen in der Gefahr, ihre jüngeren Geschwister zu dominieren, sie allmählich in eine unselbständige, abhängige Rolle zu drängen und diese Rolle im Laufe der Zeit mehr und mehr zu zementieren.

Das hat Auswirkungen: Die jüngeren Geschwister bekommen tagtäglich mit und ohne Worte die Botschaft vermittelt, dass sie wenig oder nichts können, eher unbegabt sind und darum niemals den Status und die Fähigkeiten haben werden, die der Älteste jetzt schon hat. Für die Ausbildung eines belastbaren Selbstbewusstseins ist das alles andere als förderlich. Läuft es schlecht, akzeptieren die jüngeren Geschwister irgendwann diese Botschaft. Sie sackt in die Tiefen ihrer Gefühle ab´, nistet sich dort ein und prägt das Leben von nun an unbewusst, aber massiv.

Hier zeigt sich die Tücke geschwisterlicher Beziehungen: Sie sind zwar sehr verlässlich, haben eine große Kontinuität und sind ziemlich belastbar. Aber sie können auch zu zerstörerischen und völlig falschen Rollen führen, die die persönliche Entwicklung und Entfaltung negativ beeinflussen. Wer immer und immer wieder signalisiert bekommt: „Du kannst nichts! Und das wird immer so bleiben!“, akzeptiert diese aufgedrängte Rolle irgendwann und identifiziert sich mit ihr. Die falsche Rolle wird so zu einem Teil seiner Persönlichkeit.

Verlässt er (oder sie) eines Tages den Raum der Familie, nimmt er diese verfestigte und falsche Rolle mit. Das heißt: Er geht mit einem geringen Selbstbewusstsein in das Leben als Erwachsener. Viel Zeit, Kraft und Mühe sind notwendig, um diese zerstörerische Rolle zu erkennen, sie dann Stück für Stück abzulegen und durch eine neue, angemessene Rolle zu ersetzen. Manchmal werden solche alten, falschen Rollen ein Leben lang nicht richtig abgelegt. Sie wirken unbewusst und über Jahrzehnte hinweg. Sie sind hinderlich und destruktiv.

Aber nicht nur zwischen dem Ältesten und seinen jüngeren Geschwistern können sich falsche Rollen einnisten. Auch Geschwister, die sich von Alter her sehr nahe sind, können miteinander schädliche Rollen ausbilden. Oft beruhen sie auf Konkurrenz. Ein Geschwisterkind erreicht das Abitur. Das andere nicht. Ein Geschwisterkind ist allgemein beliebt und hat viele Freunde. Das andere findet nur wenig Beachtung. Ein Geschwisterkind findet viel Anerkennung, weil es besonders gut aussieht. Das andere ist eher eine graue Maus, die von solcher Anerkennung nur träumen kann. Ein Geschwisterkind ist besonders sportlich oder künstlerisch begabt. Das andere nicht. Als Konsequenz nisten sich Neid, Konkurrenz und tiefsitzender Groll ein. Das weniger (oder vielleicht auch nur anders begabte) Geschwisterkind fühlt sich als ewiger Verlierer und richtet sich aber über die Jahre hinweg immer mehr in dieser Rolle ein. Und die wirkt zerstörerisch.  Und wiederum gilt: Es kostet sehr viel Zeit, Mühe und Kraft, um diese Rolle zunächst überhaupt zu erkennen und dann allmählich aus ihr herauszuwachsen. Nicht immer gelingt das.

(Fortsetzung folgt)