Zum ersten Mal fiel es mir auf, als ich ungefähr 14 war: Ich konnte mit der Musik nichts anfangen, die die anderen in meiner Klasse hörten. Die bewegten sich musikalisch alle so ungefähr in denselben Genres und konsumierten das, was Radio und Plattenläden (die CD war noch nicht erfunden) so ausspuckten.
Ich hatte nichts gegen diese Musik. Sie war mir einfach egal. Aber ich staunte: Wieso konnte ich zu dem, was die allermeisten gut fanden, einfach keinen Zugang finden? Wie kam das, dass ich anders war?
Ich hatte keinerlei Ambitionen, meinem Musikgeschmack anzupassen, nur um nicht mehr anders zu sein. Ich hatte keine Lust dazu und tat es auch nicht. Aber das Rätsel blieb: Warum war ich anders und konnte es nicht ändern?
Ich hörte viel Musik, auch bei Freunden. Das meiste rauschte an mir vorüber. Hinterließ keine Spuren, weder positiv noch negativ. Es berührte mich einfach nicht. Es war Musik, die dahinplätscherte, aber nicht das Leben aufdeckte und in seine Tiefen vordrang. Es war Musik ohne innere Wucht, auch wenn die Bässe dröhnten, das Schlagzeug hämmerte und das Ganze sehr laut abgespielt wurde. Ich wusste nicht, warum das so war. Es war einfach so.
Ab und zu passierte es, dass ein Song mich traf wie ein Blitz. Das geschah nicht oft, aber ab und zu kam es dazu. Immer überraschend. Dann saß ich da wie gebannt, vergaß alles um mich herum und wurde ganz Ohr. Ich saugte Stimme, Text und Musik förmlich in mich auf, hörte denselben Song wieder und wieder und wieder. Konnte mich nicht lösen. Und wurde in der Tiefe berührt. Und wiederum: Ich hätte nicht sagen können, warum das passierte. Eines jedoch war greifbar: Die Songs, die mich berührten, waren für die allermeisten, die ich kannte, bedeutungslos. Sie hörten einen Moment lang hin, zuckten dann mit den Schultern und wandten sich ab.
Irgendwann stieß ich auf die Musik von Bob Dylan. Die Wucht und die Tiefe, die in seinen Liedern steckten, setzten mich außer Gefecht. Ich hätte nie gedacht, dass es so eine kraftvolle Musik geben könnte. Dylans Songs deckten das Leben auf und bewegten sich dort in die Tiefe. Ich habe bestimmt nicht alles in Dylans Liedern und ihren starken Bildern komplett verstanden. Und doch berührte mich seine Musik tief. Der Impuls, Gitarre zu lernen, ging von Dylans Musik aus. Ich wollte sie nicht nur hören, ich wollte sie selbst singen können!
Später habe ich Dylan oft bei Konzerten auf der Bühne gesehen. Aber sehr, sehr nahe war er mir innerlich vorher schon. Wenn ich Dylan singen hörte, verschwand jede Entmutigung und machte dem Trotz Platz. Es verschwand auch jede Einsamkeit und wich einem tiefen Gefühl von Verstandensein.
Dylan hat mein Leben und auch meine eigenen Songs stark geprägt. Er hat mich im Tiefsten berührt. Wenn ich seine Lieder irgendwo präsentierte, hörte ich manche anerkennenden Worte. Aber selten nur traf ich Menschen, die von seiner Musik so berührt worden waren wie ich. Und dabei ist es geblieben - bis heute.
Heute kriege ich die Musik mit, die junge Leute hören. Ich merke, dass Musik ihnen viel bedeutet. Viele sind ohne Knopf im Ohr irgendwie unvollständig. Ihre Musik begleitet sie überall hin. Eines fällt mir allerdings auf: Musik hat einen anderen Stellenwert in ihrem Leben. Sie ist eine Art mitlaufender Geräuschkulisse, immer und überall gegenwärtig. Es kann sein, dass ich mich täusche, aber ich vermute, dass eine tiefe Begegnung mit der Musik einzelner Interpreten oder Bands so eher verhindert als gefördert wird. Ich finde das schade, aber vielleicht war das schon immer so. Ich kann es nicht letztlich beurteilen.
Unterm Strich hat sich, was die Musik angeht, für mich nichts geändert: Ich bin anders. Ich bin auf keinen Fall Mainstream und werde darum auch Menschen, die sich musikalisch im Mainstream bewegen, nicht erreichen. Das ist so und lässt sich nicht ändern. Übrigens: Anders zu sein ist nichts, worauf ich stolz bin. Es ist oft mühevoll. Aber es ist ein Fakt, den ich nicht ändern kann.
Jeder meiner kleinen Konzertauftritte mit der Band "Klippenwolf" ist darum ein Wagnis. Wird es gelingen, die Leute in meine Musik zu ziehen und sie ihnen zu erschließen? Wird es gelingen, sie aus dem Mainstream herauszulocken und sie in etwas Neues mitzunehmen? Manchmal gelingt es, manchmal nicht. Man muss damit leben.
Oft denke ich in diesem Zusammenhang an Jesus. Jesus war auch nicht Mainstream. Jesus war anders. Die Welt seines himmlischen Vaters war ihm in Tiefe vertraut. Den Menschen, mit denen er umging, nicht. Gott war ihnen fremd. In ihrem Leben spielte er keine Rolle oder war höchstens ein Zaungast. Der Mainstream damals kam ohne Gott aus. Ein bisschen - mehr oder weniger entleerte - religiöse Tradition reichte den meisten. Wie einsam muss Jesus manchmal gewesen sein! Und wie wichtig waren die Jünger, die ihn wenigstens ein bisschen verstanden.
Jesus war anders. Er war so anders, wie man nur anders sein kann. Als der Sohn Gottes hatte Jesus keine Chance, jemals dem Mainstream zu gefallen. Er blieb ein Fremder unter den Menschen. Aber er ging seinen Weg. Konsequent. Unbeirrbar. Einfach. Straight.
Ich kann mein Anderssein nicht mit seinem vergleichen. Ich bleibe
Lichtjahre hinter ihm zurück. Aber wie er seinen Weg gegangen ist, das ermutigt mich und gibt mir Kraft, Hoffnung und Orientierung.