Ein schräger Wunsch

Quelle:  pixabay
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Als sich der amerikanische Astronaut Michael Foale nach 145 Tagen im All mit der Raumfähre Atlantis auf den Rückweg zur Erde machte, da hatte er einen ganz großen Wunsch und eine ganz große Bitte. Die gab er per Funk noch auf der Erdumlaufbahn durch. Die Bitte lautete: Bitte haltet eine große heiße Pizza bereit, belegt mit allem, nur keine Sardellen!

 

Nun, möglicherweise muss man erst 145 Tage im All verbracht haben, bevor man eine knusprige heiße Pizza so richtig schätzen lernt. Mit Sicherheit jedenfalls war dieser Wunsch ein Wunsch, der von Herzen kam.

Worum würden Sie bitten, wenn Sie irgendwo einen Wunsch frei hätten? Ich meine, worum würden Sie bitten, wenn jemand Ihnen die Erfüllung einer Bitte freistellte? Nun, ich vermute, dass Sie das jetzt im Augenblick vielleicht gar nicht sagen könnten. Wahrscheinlich würden Sie zunächst in tiefes Nachdenken versinken darüber, welche Bitte denn nun die beste und die weiseste sei. – Egal aber, wie Ihr Ergebnis am Ende aussehen würde, niemals kämen Sie auf die Bitte, die eine prominente Persönlichkeit der Bibel (ihr Name ist David) vor Gott aussprach: Herr, lehre mich doch, dass es ein Ende mit mir haben muss, und mein Leben ein Ziel hat und ich davon muss. (Die Bibel, Psalm 39, 5)

Das war seine Bitte. Das war sein Herzenswunsch, den David hier in Psalm 39 Gott vorträgt. Diese Bitte schockiert. Dieser Wunsch erscheint echt schräg. Und das nicht nur deswegen, weil sie ausgerechnet das Sterben zum Thema hat. Diese Bitte schockiert, weil sie alle Gitter, alle Sperrzäune und Hindernisse entschlossen wegräumt, die den Gedanken an den Tod bisher aus dem Leben fernhielten. Diese Bitte schockiert, weil sie den Gedanken an den Tod herankommen lässt - bis direkt ans Herz: Herr, lehre mich doch, dass es ein Ende mit mir haben muss, und mein Leben ein Ziel hat und ich davon muss.

Aufs erste Hinhören ist man darum versucht zu sagen: Was für eine hirnverbrannte Bitte! Schließlich wissen wir doch alle, dass wir mal sterben müssen. Das ist doch die binsenhafteste aller Binsenweisheiten, dass der Tod uns blüht. Warum also Gott um Erklärung von etwas bitten, dass wir doch eh´ schon wissen?

So könnte man sagen ... Aber es wäre doch nicht wahr! Denn so sehr es stimmt, dass wir irgendwo um unser Ende wissen. So sehr sind wir doch pausenlos dabei, dieses Wissen mit wahnwitziger Entschlossenheit zu leugnen. Wir können uns nicht vorstellen, dass wir, ausgerechnet wir vom Tod gefällt werden könnten. Irgendwo in uns tragen wir die tiefe Überzeugung in uns, dass bei uns – und nur bei uns - der Tod doch eine Ausnahme machen müsse, weil wir doch viel zu kostbar seien, um von ihm gegriffen und zerstört zu werden. – Nein, ganz wirklich glauben wir  ihn nicht – unseren Tod. Wir glauben ihn nur bei anderen, hinter deren Sarg wir hergehen auf dem Friedhof, um sie zur letzten Ruhestätte zu begleiten. Aber bei uns selbst? Nein! Da können wir das nicht glauben. Dass man auch einmal hinter unserem Sarg hergehen wird? Nein, das können wir nicht mal von Ferne denken. Tief innen glauben wir, eine geheime Immunität zu besitzen gegen das Sterben.

Warum ist das so? Und warum können wir am aller-, allerwenigsten den Gedanken an den eigenen Tod akzeptieren? Nun, das liegt daran, dass wir so furchtbar hilflos sind ihm gegenüber. Der Tod kommt über uns, ungefragt. Er hört kein Klagen. Ihn bewegen keine Bitten. Er schert sich nicht um unsere Tränen. Ihn beeindruckt kein Rebellieren! Er kommt – ruhig und gleichmütig. Und er nimmt uns alles. Er beraubt uns aller Dinge. Er nimmt alles hinweg, was wir einmal geschaffen und erarbeitet haben. Er raubt uns alles, worauf wir Jahre und Jahrzehnte das volle Anrecht hatten. Gleichgültig wie das Wasser eines großen Flusses schwemmt er hinweg, woran unser Herz so lange hing. Er wirft uns auf unser Bett. Er nimmt weg das Licht der Augen, das Schlagen des Herzens, die Kraft unserer Arme. Er nimmt weg die Lieblingstasse, aus der wir tranken ... die Bücher, die wir so oft zur Hand nahmen ... die Blumen und die Bäume in unserm Garten, die uns heiter stimmten ... die Menschen, die wir liebten ... all die Zeugnisse und Auszeichnungen, auf die wir so stolz waren ... Gleichgültig schwemmt er alles hinweg, in einem Augenblick. Er macht uns arm, unvorstellbar arm, ärmer als wir es je ertragen könnten. Er verfügt über uns bis ins Letzte, und wir können nichts, aber auch gar nichts dagegen tun.

Und darum wissen wir zwar theoretisch um das Ende unseres Lebens, aber praktisch wollen wir doch im Tiefsten unserer Seele nichts von davon wissen. Weil wir es nicht ertragen, wenn der Gedanke an den Tod und sein Werk, unserem Herzen bedrohlich nahe kommt.

Verstehen Sie jetzt, wie berechtigt und gleichzeitig wie ungewöhnlich Davids Bitte ist? Er möchte, dass Gott bei ihm das Nicht-wissen-wollen des Todes durchbricht. Er möchte, dass Gott die lächerlichste und hartnäckigste aller Illusionen – die Illusion, wir seien immun gegen das Ende – bei ihm durchbricht. David will keine Illusionen. Er will Wahrheit. Und darum bittet er, dass die Wahrheit über das Sterbenmüssen bei ihm durchschlägt bis in das Herz: Herr, lehre mich doch, dass es ein Ende mit mir haben muss, und mein Leben ein Ziel hat und ich davon muss.

Die Frage ist nur: Warum will David die Wahrheit anstelle der Täuschung? Warum? Können denn Täuschungen nicht vielleicht auch ganz barmherzig sein, weil sie die allergrößte Härte des Lebens von uns fernhalten. Warum zieht David die strenge bittere Wahrheit über das Sterbenmüssen jeder wohltuenden Täuschung vor? Warum?

Und die Antwort ist ganz einfach: Weil sonst alles falsch wird! - Wenn wir falsch über den Tod denken, dann leben wir auch falsch. Wenn wir uns täuschen über den Tod, dann täuschen wir uns auch über das Leben. Wenn wir den Tod falsch sehen, dann sehen wir auch das Leben falsch. Und darum zieht David die strenge, bittere Wahrheit der wohltuenden Täuschung vor.

Hören Sie, was David weiter sagt, er führt uns das vor:

Siehe, meine Tage sind eine Handbreit bei dir, und mein Leben ist wie nichts vor dir. Wie gar nichts sind alle Menschen, die doch so sicher leben! Sie gehen daher wie ein Schatten und machen sich viel vergebliche Unruhe; sie sammeln und wissen nicht, wer es einbringen wird.

 

Wer nichts wissen will vom Tod, verfällt aufs Sammeln. Wer nichts wissen will vom Tod, der arbeitet und rackert und kauft und sammelt in der trügerischen Illusion, er könne das alles auf immer behalten! Wer nichts wissen will vom Tod, der vergisst, dass das Leben ein einziger großer Countdown ist, der schon lange, lange läuft. Wer vom Tode nichts wissen will, der vergisst, dass sein Leben auf ein Ziel zuläuft: Und das ist Gottes Bilanz. Wer den Tod vergisst, der plant falsch und lebt auch falsch.

 

Da durfte einmal ein Tourist in einem Kloster bei Kartäusermönchen übernachten. Natürlich war er sehr erstaunt über die karge und spartanische Einrichtung ihrer Zellen und fragte die Mönche: „Wo haben Sie denn ihre Möbel?“ - Schlagfertig fragten die Mönche zurück: „Ja, wo haben Sie denn Ihre?“ – „Meine?“, erwiderte darauf der Tourist verblüfft, „ich bin doch nur auf der Durchreise hier!“ – „Eben, eben“, nickten die Mönche freundlich, „so geht´s uns auch!“

Wir sind nur auf der Durchreise. Und wer das nicht sehen will, wer nichts wissen will vom Tod, der verspielt die Ewigkeit. Er kriegt sie gar nicht in den Blick – bis es zu spät ist. Und darum ist es gut, sich stören zu lassen vom Gedanken an den Tod und zu fragen: Wie würde ich heute (heute!!) dastehen mit meinem Leben, wenn heute (heute!!) der große Räuber, der Tod käme. Wie würde ich dastehen? Wie würde die Bilanz aussehen über mich und mein Leben?

Es ist gut, sich stören zu lassen vom Gedanken an den Tod. Es kann dann sein, dass eine Unruhe über uns kommt und wir plötzlich sehr scharf und sehr klar erkennen: Ich bin reich auf der Welt, aber arm bei Gott. Es kann dann sein, dass wir erbleichend erkennen: Auf der Welt bin ich reich an Geld und Kram. Aber: Bei Gott habe ich nichts außer Schulden. Ich bin arm bei Gott. Aus eigenem Verschulden, arm bei Gott. Und wenn nichts geschieht, dann bleibt´s dabei. Wenn nichts geschieht, dann gehe ich bitterarm in die Ewigkeit und habe noch nicht mal den bescheidensten Wohnplatz im Hause Gottes. Wenn nichts geschieht, dann wird meine Ewigkeit nur eines enthalten: Eine knirschende, ziellose Reue darüber, dass ich mein Leben auf der Erde verbracht habe mit Sammeln von Kram, aber bei Gott ganz arm und ganz verschuldet blieb. Das Schreckliche an der Verlorenheit einzelner Menschen wird einmal sein, dass sie – zu spät – erkennen werden: „Ich hatte sie die Chance reich zu sein bei Gott. Aber ich wollte ja nicht. Ich wollte lieber Sachen sammeln auf der Erde. Und jetzt habe ich alles verloren!“

Und darum noch einmal: Es ist gut, sich stören zu lassen vom Gedanken an den Tod. Weil wir dann endlich merken, dass unser Leben ein Ziel hat. Und dass dieses Ziel Jesus Christus heißt. Und dass die Gefahr höchst real ist, dass wir dieses Ziel verpassen für immer!

Es ist gut, sich stören zu lassen vom Gedanken an den Tod. Weil uns das in Unruhe versetzt. Weil uns das in Bewegung setzt. Weil uns das unsere Herzen und unsere Hände und unsere Füße in Marsch setzt. Weil wir dann zu Jesus, dem Sohn Gottes, hineilen, ja hinstürzen so schnell wir nur können, und auf die Knie gehen vor Ihm, und Ihm unser Leben hingeben mit allem, was drin ist und Ihn um Gnade und Vergebung bitten für unsere Schuld.

Es ist gut, sich stören zu lassen vom Gedanken an den Tod. Weil wir dann endlich sehen, dass reich sein bei Gott das einzige ist, was zählt im Leben. Dass reich sein bei Gott das einzige ist, wofür sich zu leben lohnt.