Wozu?

Quelle:  pixabay
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Er stand da und redete zu Gästen und Honoratioren im "Süllberg Seven Seas". Seine 80 Jahre sah man ihm kaum an. Groß und schlank. Kein bisschen gebeugt. Teurer, gut sitzender Anzug. Edles Schuhwerk.

 

Er stand da und redete. Er sprach über sein Leben. Er blickte zurück.

Er sprach über seinen Beruf. Wie er bei einer großen Reederei in Hamburg  aufgestiegen war, Station für Station. Ebene für Ebene. Wie er sich gegen Widerstände durchgesetzt und an Macht und Einfluss gewonnen hatte.

Er sprach über seine Familie, die Frau und die Kinder. Er erzählte lustige Geschichten von den Kindern, als sie noch klein gewesen waren.

Er sprach von seinem Haus in Blankenese mit dem traumhaften Blick über die Elbe, mit dem großen Garten, das sie gekauft und wo sie gelebt hatten.

Er sprach von den langen Reisen, die er mit seiner Frau unternommen hatte, als sie beide älter und die Kinder aus dem Haus waren.

Er sprach von den Freunden und Nachbarn und wie sie gefeiert und zusammen einen über den Durst getrunken hatten.

Er sprach über seine gute Gesundheit und wie vortrefflich alles in seinem Leben gelungen war.

Er hatte Vieles von dem mitgenommen, was das Leben so bietet. Erfahrung hatte sich an Erfahrung gereiht, Erlebnis an Erlebnis. Ein buntes Kaleidoskop.

Aber wofür hatte der Mann sein Leben gelebt? Wofür?

In seinem Leben reihte sich Erlebnis an Erlebnis, Glück an Glück. Aber es gab nichts, das darüber hinaus reichte. Es gab kein Ziel, keine Aufgabe, keine Bestimmung. Es gab nichts, das größer war als er selbst, nichts, das  seinem Leben Richtung und Kontur vermittelte. Es gab nur ihn selbst und Erfahrung von Glück.

Wozu hatte dieser Mann gelebt? Wozu war sein absolut einmaliges, nicht wiederkommendes Leben gut gewesen? Wozu hatte es gedient?

Da war nichts. Einfach nichts.

Er war dem Mainstream gefolgt. Hatte gelebt, wie man halt so lebt nach Meinung des Mainstreams. Aber sein Leben, das einmalige und darum unermesslich kostbare Leben, verpuffte in Erfahrungen von Glück.

Sein Leben wies in nichts über sich hinaus. Es war ein Leben, das Glück gesucht und Erfahrungen von Glück gefunden hatte. Mehr nicht.

Aber das Leben ist zu einmalig, zu kostbar, zu unwiederbringlich, als dass es sich in Erfahrungen von Glück erschöpfen könnte. Das Leben braucht nicht in erster Linie Luxus, Wohlstand und Erfolg, sondern eine Bestimmung. Das Leben braucht etwas, das über sich selbst hinausweist, etwas Großes, für das zu leben sich lohnt. „You gonna have to serve somebody!“, singt Bob Dylan.

Ein Leben ohne Bestimmung ist ein vertanes Leben, ein erbärmlich armes und verschwendetes Leben.

Wer dem  dem Redner zuhörte, wie er redete und redete, den ergriff ein Gefühl, als wäre es Winter, als würde es frieren.