Sehnsucht (3)

Quelle:  pixabay
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Sehnsucht ist mir sehr vertraut.

 

Sie hat in meinem Leben bis heute eine Menge bewegt.

 

Sie hat mich aus bleierner Trägheit, selbstgewählter Enge und schleichender Mutlosigkeit herausgetrieben und mich dazu gebracht, in die Weite zu gehen und Neues zu entdecken. Sie hat mich ermutigt, mich nicht um den Mainstream zu scheren, sondern selbst zu denken, selbst zu fühlen, zu hören und zu sehen und selbst über den Kurs meines Lebens zu entscheiden.

 

Ich kenne die strahlende Sehnsucht erfüllter und die verzweifelte Sehnsucht zurückgewiesener Liebe. Ich bin vertraut mit der Sehnsucht, die die Musik entfachen kann, und ich weiß, welche Wirkung von Worten ausgeht, die die Sehnsucht aufwachen oder auch stürmisch anwachsen lassen können.

 

Die mit Abstand intensivste Erfahrung mit der Sehnsucht hatte ich im Alter von etwa 17 Jahren. Die Sehnsucht, die damals in mir aufbrach und mein Leben komplett (und bleibend) veränderte, kam völlig unerwartet.

 

Ich lebte in dieser Zeit als Atheist wie wohl die meisten in meiner Altersgruppe. Religion spielte in meinem Leben keine Rolle, Kirche schon gar nicht. Ich war kein kämpferischer Atheist. Das Thema „Religion“ interessierte mich einfach nicht. Ich hielt es für hohl, abgestanden und überholt. Es war für mich einfach erledigt.

 

Allerdings: Auf der Suche war ich schon. Ich habe die Sinnlosigkeit meines (damals doch recht behüteten) Lebens stark empfunden. Ein ausgeprägtes Empfinden für Gerechtigkeit und Ungerechtigkeit konnte bisweilen eine helle Wut in mir entfachen. Gleichzeitig wusste ich, dass ich an bestehendem Unrecht nicht viel ändern konnte. Dann fühlte ich mich hilflos.

 

So habe ich meine Fühler in verschiedene Richtungen ausgestreckt. Musik interessierte und bewegte mich sehr. Auch Politik war ein Thema. Und ich verschlang Bücher, wo immer ich ihrer habhaft werden konnte. Mutige Einzelpersonen wie Mahatma Gandhi oder auch Martin Luther King inspirierten mich und gaben mir Hoffnung. Ich wusste dabei nicht wirklich, wonach ich eigentlich suchte, spürte aber, dass ich es erkennen würde, wenn es mir begegnete. Sehnsucht nach etwas, für das ich kein Wort und keinen Begriff hatte, trieb mich vorwärts.

 

Bei einem Besuch in Italien stieß ich dann auf die Musik von Bob Dylan. Seine Songs trafen mich wie ein Hammer. Ich spürte es in seinen Liedertexten, in seiner Musik, in seiner Stimme: Dieser Mann war auf der Suche, genau wie ich. Und er konnte das, was ihn innerlich umtrieb, viel besser in Worte und viel besser in Melodien fassen, als ich das konnte. Ich habe Dylans Musik förmlich in mich aufgesaugt. Sie hat mir ein Riesen-Quantum an Mut, Hoffnung, Beharrlichkeit, Selbstbewusstsein und innerer Kraft gegeben. Ich habe seine Songs wieder und wieder und wieder gehört. Ich habe mich von ihm durch Glück, Liebe, Enttäuschung, tausend Fragen, bittere Wut und zum Teil ätzenden Spott mitnehmen lassen. Mich faszinierte seine unbedingte Ehrlichkeit, seine Wahrhaftigkeit und Unbestechlichkeit, mit der er durch das Geheimnis seines Lebens zog. Dieser Mann fragte immer weiter und ließ sich von nichts und niemandem davon abhalten. Er grub immer tiefer und trieb das mit großer Energie und Beharrlichkeit voran.

 

Wenn ich Dylan hörte, wusste ich: Die Suche lohnt! Aufgeben und sich anpassen wäre ein Fehler gewesen! Und ich spürte: Die Sehnsucht nach Antwort, die ihn vorwärtspeitschte, war auch in mir am Werk. Sehnsucht und Suche: Bei mir gehörten sie ganz eng zusammen.