Lieblose Verwandtschaft

Quelle:  pixabay
Quelle: pixabay

Unter der Überschrift: „Lieblose Verwandtschaft geht leer aus“ berichteten die Zeitungen vor ein paar Jahren folgendes: Da hatte eine wohlhabende Tante ihre Nichten und Neffen schwer verärgert, weil sie einen hilfsbereiten Pensionär als Alleinerben eingesetzt hatte. Ein großes Haus und rund 800.000€ vermachte sie ihm testamentarisch.

 

Was war geschehen: Im Jahr 1978 war die Frau Witwe geworden. Der spätere Alleinerbe, verheiratet, aber ohne Kinder, hatte ihrem Ehemann, seinem besten Freund noch versprochen, dass er sich um dessen Frau kümmern werde. Die war schwer gehbehindert und an den Rollstuhl gebunden. Sie hätte ganz allein dagestanden, wenn da nicht der alte Freund ihres Mannes gewesen wäre. Er fuhr sie im Auto spazieren. Er erledigte Besorgungen für sie, und er war ihr zur Hand bei Banken und Behörden.

Als die Frau Jahre später starb, erschienen zur Beerdigung zahlreiche Nichten und Neffen. Die hatten sich zuvor nicht die Bohne um die alte Dame gekümmert, witterten aber jetzt das Erbe. Jedoch: Sie gingen leer aus. Tief enttäuscht zogen sie nach Bekanntwerden des Testaments wieder ab, verklagten aber den Pensionär wegen Erpressung. Ihre Vermutung: Er habe die Tante unter Druck gesetzt und gedroht, sie allein zu lassen, wenn sie ihn nicht zum Alleinerben mache.

Die Richter sahen das anders. Sie meinten, den Erben stehe kein Geld aus dem Erbe ihrer Tante zu. Schließlich hätten sie ein Leben lang keinen Finger für sie krumm gemacht und keinerlei Interesse an ihr gezeigt.

Ich weiß natürlich nicht, wie Sie diesen Richterspruch im Einzelnen bewerten würden. Aber  soviel  scheint mir doch festzustehen: Die Nichten und Neffen wollten das Geld, aber sie wollten nicht die Tante. Und für so ein Verhalten gibt es kein passenderes Wort als „lieblos“. Ihr Verhältnis zu der alten Dame war einfach lieblos.

Erstaunlicherweise gehen Menschen in gleicher Weise manchmal auch mit Gott um. In der Bibel werden sie beschrieben. Da heißt es (Buch Jeremia 2, 27): „So spricht der Herr: Sie kehren mir den Rücken zu und nicht das Angesicht. Aber wenn die Not über sie kommt, sprechen sie: »Auf, und hilf uns!«“

Was hier beschrieben wird, sind Menschen, die zwar Hilfe von Gott erbitten, die ihn selbst aber nicht haben wollen. Ihr Verhalten ähnelt in fataler Weise dem Verhalten der Nichten und Neffen, von denen wir eben gehört haben: Ein liebloses Verhalten.

Das Erstaunliche ist nur: Es fällt kaum jemand wirklich auf. Viele Menschen halten so ein Verhalten Gott gegenüber für völlig normal. Sie muten ihm - ohne mit der Wimper zu zucken - jahrelang die Rolle eines Zaungastes in ihrem Leben zu. Aber wenn sie in Schwierigkeiten geraten, dann muss er parat stehen und liefern, was erbeten wird.

Eigentümlich: So ein krasses Fehlverhalten der Nichten und Neffen gegenüber einer Tante, das fällt auf. Das empört die Leute. Da erkennen sie auf Anhieb, dass hier etwas ganz und gar nicht in Ordnung ist. Da reiben sie sich vielleicht sogar die Hände, wenn Nichten und Neffen leer ausgehen und das Gericht ihre Klage abweist, und sagen: „Recht geschieht es ihnen!“

Aber: Wem fällt auf, wenn genau dieselben Dinge zwischen Menschen und Gott ablaufen? Es fällt nicht auf! Gott selbst muss uns erst darauf aufmerksam machen in seinem Wort.

Wie viel Menschen gibt es, die haben ihr Leben nie richtig Zeit für den „lieben Gott“. Immer sind andere Dinge wichtiger. „Lass mich doch mit Gott in Ruhe!“, sagen sie sinngemäß, „Ich hab´ keine Zeit!“ Sie kehren Gott den Rücken zu.

Und so gehen die Jahre hin. Und irgendwann tritt dann vielleicht unvermutet und unerwartet eine echte, große Not in ihr Leben. Und dann plötzlich treten sie als Bestimmer auf. Sie stellen Forderungen an Gott: „Auf, und hilf mir!“

Sie wollen Gottes Hilfe. Ja, gewiss. Sie bitten ihn. Und daran ist gewiss nichts Schlechtes! Aber: Sie wollen nicht ihn selbst. Sie wollen nur Seine Hilfe. Und merken gar nicht, wie lieblos diese Haltung ist. Sie versuchen Gott zu benutzen. An ihm selbst jedoch haben sie kein Interesse. Und das zeigt sich spätestens dann, wenn die Not vorüber ist. Denn dann vollzieht sich meist ein  Vergessen. Sehr schnell kehren sie Gott dann wieder den Rücken zu. Vergessen ist die Zeit, in der sie laut nach ihm gerufen haben.

Eigentlich ist das himmelschreiend, wenn Menschen so mit Gott umgehen. Aber noch viel erstaunlicher ist, wie Gott  auf solches Verhalten reagiert.

Bitte, erinnern wir uns: Wie reagierte denn die alte Dame auf die Lieblosigkeit ihrer Verwandtschaft? Nun, sie enterbte sie komplett.

Aber Gott macht es anders uns gegenüber! Er enterbt uns nicht! Er wendet sich nicht angewidert ab, wenn Menschen himmelschreiend mit ihm umgehen. Er präsentiert uns nicht ein knallhartes Testament! Er tut etwas anderes: Er schickt uns Jesus, seinen Sohn: Vom Himmel auf die Erde. Um uns zu suchen. Um uns zu retten aus Verlorenheit. Um unser Herz zu erreichen. Um es weich zu machen. Um uns zu fragen, ob wir nicht vielleicht doch das allein Angemessene tun wollen und ihn mehr lieben als alles andere.

So reagiert Gott auf seine kalten, gleichgültigen, ichhaften Geschöpfe. Er macht eben nicht kurzen Prozess, wie es die alte Dame mit ihren Nichten und Neffen tat.

Und daran kann man sehen, wie anders er ist. Anders als wir Menschen. So viel größer, so viel freier. So bereit, entgegenzukommen und zu vergeben. Mit unbegreiflicher, ehrfurchtgebietender Geduld. So bereit, um uns zu werben: Um uns und unser in sich verkrümmtes Herz.

Und darum bleibt am Ende eine überaus wichtige, entscheidende Erkenntnis: Gott will mehr, als dass wir nur in Zeiten der Not zu ihm kommen! Dieses „Christentum“, das in Zeiten der Not Forderungen an Gott stellt, um ihn danach ganz rasch wieder zu vergessen und abzuhaken, ist eine Karikatur dessen, was Gott will!

Er will etwas anderes: Er will, dass wir auf „Du und Du“ mit ihm stehen. Er will unser Leben füllen mit seiner Liebe und Gnade und Heiligkeit: Füllen bis zum Rand. Er will in unserem kleinen Leben wohnen, bis sein Licht an allen Ecken und Enden aus uns herausleuchtet. Er will, dass unsere Lebensgeschichte eine persönliche Lebensgeschichte mit ihm ist. Er will, dass wir mit ihm so vertraut sind, wie mit keinem Menschen sonst. Er will, dass wir unser Leben in der Hingabe an ihn leben, und er mit uns: Jeden Tag. Jede Stunde. Jede Minute. Einfach immer!