Der verstoßene Vater. (2)

Quelle:  pixabay
Quelle: pixabay

Und Jesus sprach: Ein Mensch hatte zwei Söhne. Und der jüngere von ihnen sprach zu dem Vater: Gib mir, Vater, das Erbteil, das mir zusteht. Und er teilte Hab und Gut unter sie.

(Die Bibel, Lukasevangelium 15, 11 – 12)

 

Eines  muss man wissen, wenn man sich mit diesem Gleichnis Jesu beschäftigt: Es war damals durchaus möglich, dass ein Vater seinem Sohn seinen Besitz schon zu Lebzeiten vermachte. Dafür standen gesetzliche Verfahren zur Verfügung. Allerdings war es ein ungeschriebenes Gesetz, dass von diesem Verfahren erst dann Gebrauch gemacht wurde, wenn der Tod des Vaters unmittelbar bevorstand. Der Erbe bekam dann das Eigentumsrecht über den Besitz, nicht aber das Verkaufsrecht. Der Besitz wurde weiterhin vom Vater verwaltet. Also: Wenn ein Vater seinen Besitz zu Lebzeiten vererbte, behielt er das Verkaufsrecht, der Erbe aber bekam das Eigentumsrecht. Das bedeutet, dass der Vater durchaus auch weiterhin das Recht hatte, zum Beispiel ein Kalb schlachten zu lassen, wie es später in dem Gleichnis berichtet wird.

 

Völlig undenkbar war es damals aber, dass ein Sohn seinen Anteil am gemeinsamen Besitz forderte, solange der Vater noch gesund und bei Kräften war. Die Bitte des jüngeren Sohnes: Gib mir, Vater, das Erbteil, das mir zusteht, war eine Unverfrorenheit ohnegleichen – um es vorsichtig auszudrücken. Und in der nahöstlichen Landbevölkerung von heute wird das auch instinktiv von allen verstanden.

 

Der Theologe Kenneth Bailey hat auf seinen Reisen durch den Nahen Osten in unzähligen Dörfern die Bitte des jüngeren Sohnes um sein Erbe zur Diskussion gestellt. Die Antwort war immer die gleiche. Immer wieder erlebte Bailey ein Gespräch dieser Art:

 

„Hat irgend jemand in eurem Dorf schon jemals eine solche Bitte ausgesprochen?“ – „Niemals!“ – „Wäre es denkbar, dass jemand eine solche Bitte äußert?“ – „Unmöglich!“ – „Wenn jemand es tun würde, was würde geschehen?“ – „Der Vater würde sehr zornig werden und die Bitte ablehnen!“ – „Warum?“ – „Diese Bitte bedeutet, dass er sich wünscht, dass sein Vater stirbt!“

 

Die Bitte des jüngeren Sohnes bedeutet also, dass er ungeduldig darauf wartet, dass der Vater stirbt. Seine Bitte ist eine sehr radikale Form der Rebellion gegen seinen Vater. Und damit sind wir auch sofort an einem sehr ernsten Punkt. Machen wir uns klar: Der Vater in dem Gleichnis steht für den Lebendigen Gott. Und der Sohn für uns Menschen. Wenn nun der Sohn den Tod des Vaters wünscht, dann bedeutet das (auf uns übertragen), dass eine Menschheit, die gegen Gott rebelliert, in der Tat seinen Tod wünscht. Das ist es, was Jesus hier sagen will. Und das ist ernst.

 

Viele haben exakt an dieser Stelle ihre Schwierigkeiten. Sie sagen (sinngemäß): „Aber ich habe doch gar nichts gegen Gott! Ich bin weit davon entfernt, seinen Tod zu wünschen! Niemals käme mir so etwas in den Sinn!“

 

Ich will niemandem etwas unterstellen, was er weit von sich weist. Aber es bleibt dann eine Frage. Die Frage lautet: Wie in aller Welt konnte es dann dazu kommen, dass der Sohn Gottes, Jesus, viehisch an einem Kreuz zu Tode kam? Wenn kein Mensch den Tod Gottes wünscht, wenn zwischen Gott und uns eigentlich alles ganz harmlos ist, warum schlossen sich dann die Menschen vor 2000 Jahren zusammen, um den Gottes Sohn zu kreuzigen, der niemandem ein Unrecht getan hatte? Warum?

 

Die Bibel nennt den Grund. Sie sagt, dass jeder Mensch von Natur aus ein Feind Gottes ist. Und wenn wir das verdrängen ... Wenn wir das nicht hören wollen ... Wenn wir das nicht wahrhaben wollen, dann kennen wir uns selbst nicht. Und kennen den Lebendigen, heiligen Gott nicht. Dann streuen wir uns selbst Sand in die Augen. Wir ahnen dann nichts von der Schärfe des Konflikts zwischen dem Lebendigen Gott und uns. Wir betrügen uns selbst. Und was noch viel schlimmer ist: Wir bringen uns damit um die Chance, unsere Beziehung zu Gott heilen zu lassen.

 

Der Grund, warum viele meinen, sie hätten noch nie etwas gegen Gott gehabt, scheint mir dieser zu sein: Sie haben nichts gegen Gott, solange er in ihrem Leben nur die Rolle eines Zaungastes spielt. Solange er nicht wirklich etwas zu sagen hat, haben sie  nichts gegen Ihn. Sie können ihn ganz entspannt „einen guten Mann sein lassen“, wie man so sagt.

 

Die Dinge ändern sich aber, wenn der Lebendige Gott (Jesus) ihnen wirklich nahe kommt. Dann setzt die Gegenwehr ein! Wenn Menschen begreifen, dass mit Gott zu leben bedeutet, sich ihm völlig unterzuordnen und völlig für Ihn zu leben, dann mobilisieren sie – wenigstens zunächst - alle Kräfte, um das zu verhindern. Sie wollen ihr selbstbestimmtes Leben auf keinen Fall aufgeben! Hier ist ein Beispiel:

 

Der amerikanische Pastor John McArthur berichtet: Eines Tages kam eine junge Frau in mein Büro, eröffnete mir, sie sei Prostituierte und sagte: „Ich brauche Hilfe. Ich bin verzweifelt!“ Nachdem ich mit ihr über Jesus und die Anforderungen des Lebens in seiner Nachfolge gesprochen hatte, fragte ich Sie: „Möchten Sie Jesus als Ihren Herrn bekennen?“ „Ja, ich will“, sagte sie, „ich habe´s kapiert!“ Sie war am Ende, und sie wusste es.

So betete sie mit mir und lud (wie es aussah) Christus in ihr Leben ein. Ich sagte: „Nun möchte ich, dass Sie etwas Bestimmtes tun! Haben Sie Ihr Adressbuch dabei, in dem die Namen all ihrer Kunden stehen?“ Als sie antwortete, dass sie das Büchlein in der Tat dabeihabe, schlug ich ihr vor: „Lassen Sie uns ein Streichholz anzünden und dieses Adressbüchlein jetzt miteinander verbrennen.“ Sie sah mich überrascht an und fragte: „Was meinen Sie?“ – „Nun, genau das, was ich sagte!“, antwortete ich. „Wenn Sie wirklich Jesus als den Herrn Ihres Lebens angenommen haben, wenn Sie wirklich seine Vergebung empfangen haben und künftig für Ihn leben wollen, dann lassen Sie uns dieses Büchlein jetzt verbrennen und ihre Neugeburt aus dem Heiligen Geist jetzt feiern und Jesus preisen.“ „Aber“, wandte sie ein, „dieses Büchlein ist eine Menge Geld wert, eine Menge Geld!“ Ich antwortete: „Sicher ist es das!“ – Da steckte sie es zurück in ihre Handtasche, sah mir direkt in die Augen und sagte: „Ich will dieses Buch nicht verbrennen! Ich glaube sogar, ich will Jesus nicht wirklich. Nein, nicht wirklich!“ Und so verließ sie den Raum. – Als sie die Kosten der Nachfolge begriff, merkte sie, dass sie nicht bereit war, diese Kosten zu übernehmen.

 

In jedem Menschen steckt von Natur aus eine radikale Rebellion gegen  Gott. Sie ist alles andere als harmlos. Und darum ist es immer ein echtes Wunder, wenn ein Mensch diese Rebellion aufgibt und sich bekehrt. Es kommt nicht so häufig vor.