Ich bin mittelmäßig!

Quelle:  pixabay
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Wenn es ein hervorstechendes Merkmal meines Lebens gibt, dann ist es dieses: Ich bin mittelmäßig.

 

Das war schon immer so.

Zum Beispiel war ich ein mittelmäßiger Schüler. In Mathe und Physik grottenschlecht, und das, obwohl mein Vater gerade diese Fächer unterrichtete. Allerdings war ich in diesen beiden ungeliebten Fächern wiederum auch nicht so schlecht, dass ich von der Schule geflogen wäre. Irgendwie schaffte ich es immer, am Ende des Schuljahrs in Physik eine bröckelige "4" zustande zu bringen. So hielt ich die Stellung und das untere Mittelmaß.

Meine Eltern bestanden darauf, mir Klavierunterricht erteilen zu lassen. So quälte ich mich etliche Jahre durch endlose Fingerübungen bei einer Klavierlehrerin, die irgendwo in der Innenstadt in einer winzigen Dachwohnung logierte. Eine steile Holzstiege führte dort hinauf, und ich habe mich oft gefragt, wie in aller Welt das Klavier der älteren Dame und ein Konzertflügel dort wohl hinaufgelangt waren.

Über ein unteres Mittelmaß bin ich allerdings auch beim Klavierspiel nicht hinausgekommen. Bei "Für Elise" (Ludwig van Beethoven) war unwiderruflich Schluss. Da habe ich aufgegeben: Zur großen Erleichterung meiner Klavierlehrerin, die sich nun verstärkt hoffnungsvolleren Talenten zuwenden konnte.

Natürlich war ich - wie die meisten in meiner Klasse - ab 14 ein revolutionär gesinnter Gesellschaftskritiker, trug lange Haare, Jeans und Bundeswehr-Parka, riskierte bisweilen eine "dicke Lippe", erschrak aber regelmäßig, wenn´s plötzlich gefährlich wurde und schraubte dann das Revoluzzertum sicherheitshalber auf ein unauffälliges Mittelmaß herunter. So kam ich ganz gut durch.

Dann entdeckte ich den Rock-Poeten Bob Dylan. Dessen Musik war durchaus nicht mittelmäßig, sondern Weltklasse. Ich lernte Gitarre und spielte seine Songs nach. Das fühlte sich gut an und die Kumpels in der Schule fanden das auch toll. Tatsächlich - Sie ahnen es - war ich auch beim Covern von Dylan-Songs höchstens Mittelmaß.

Noch viel später fing ich an, eigene Lieder zu schreiben und gehörte  nun zur Zunft der Singer/Songwriter. Aber über die Mittellinie kam ich auch hier leider nicht hinaus. Niemand "entdeckte" mich. Ich trug meine poetischen Erzeugnisse vor einem sehr kleinen Kreis treuer Freunde vor. Das war´s! Noch nichtmal die mittelgroßen Bühnen habe ich je erreicht. Ich habe mich echt darum bemüht. Wirklich! Aber die Mittelmäßigkeit blieb auch hier mein Schicksal.

Später schrieb ich auch Bücher und hoffte wenigstens auf diesem Gebiet die Mittellinie zu knacken. Jedoch, die literarischen Produkte verkauften sich eher schleppend. Meist wurden sie irgendwann verramscht.

Nun wäre es ja vielleicht eine Lösung gewesen, wenigstens der Mittelmäßigste unter den Mittelmäßigen zu werden und auf diese Weise wenigstens hier einen Spitzenplatz zu ergattern. Leider war auch dieses Bemühen nicht von Erfolg gekrönt. Es gab einfach zu viele Konkurrenten.

Irgendwann wurde mir klar, dass ich der Mittelmäßigkeit in diesem Leben nicht entrinnen würde. Ich versuchte Frieden mit ihr zu schließen. Ich führte mir vor Augen, dass die überwiegende Mehrzahl der Menschen zum Club der Mittelmäßigen gehört. Ich machte mir weiter klar, dass es ohne die vielen Mittelmäßigen keine Spitzenleute geben würde. Wenn alle dem begehrten Rang der Super-Guten angehörten, wäre der schließlich nichts Besonderes mehr. Das Heer der Mittelmäßigen sei also geradezu unabdingbar, um die Spitzenplätze überhaupt zu Spitzenplätzen zu machen!

So richtig überzeugt haben mich diese Gedanken aber dann doch nicht. Irgendwie fühlten sie sich wie billiger Trost an.

Dann allerdings geschah etwas, das meine Mittelmäßigkeit plötzlich in einem anderen Licht erstrahlen ließ. Das war der Augenblick, als Gott nach langem Bemühen seinerseits die Erlaubnis bekam, in mein Leben zu treten. Jetzt änderten sich die Dinge! Nicht, dass ich als Christ plötzlich nicht mehr mittelmäßig gewesen wäre. Ich war und blieb es! Aber es stellte für mich eine bewegende Erfahrung dar, dass Gott, der ja nun unbestritten den Spitzenplatz aller Spitzenplätze einnimmt, durchaus mit mir zu tun haben wollte. Faktisch ließ er mich wissen, dass er mich trotz oder auch gerade wegen meiner  Mittelmäßigkeit gut gebrauchen könne. Ganz offensichtlich störte er sich nicht an meinem Mittelmaß, sondern begann ohne viel Umstände, mich bei der Vorbereitung seines Reiches einzusetzen.

Ich bemerkte, dass meine Mittelmäßigkeit bei ihm keine (störende) Rolle spielte. Sie war akzeptiert. Das gab meinem ungeliebten Mittelmaß ein ganz neues Gesicht. Ich durfte ruhig Mittelmaß sein und war dennoch für ihn wichtig. Tatsächlich war es eine ziemlich überwältigende Erfahrung zu erleben, wie genial er mich trotz erwiesener Mittelmäßigkeit einsetzte. Es kam Perspektive in mein Leben. Alles öffnete sich. Der Krampf, die Mittelmäßigkeit überwinden zu wollen und doch immer wieder genau daran zu scheitern, war vorüber.

Der frühere US-amerikanische Präsident Abraham Lincoln hat einmal gesagt: "Gott muss die mittelmäßigen Leute sehr lieben, sonst hätte er nicht so viele von ihnen gemacht!"

Ich glaube, dass dieser Satz in die richtige Richtung weist. Wenn mittelmäßige Leute mit Gott in Kontakt kommen, hört ihre Mittelmäßigkeit auf, Anlass zu untergründigem Kummer zu sein. In Gottes Händen bekommt sie Perspektive.