Ein öffentlicher Tod

Quelle:  pixabay
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Der Tod Jesu war ein öffentlicher Tod. Jesus stirbt öffentlich! Nichts von dem, was am Freitagmorgen vor Ostern in der Stadt Jerusalem passiert, ist irgendwie verborgen oder verhüllt oder auch nur ins Zwielicht getaucht. Nichts geschieht unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Es ist alles grell ausgeleuchtet und weithin sichtbar. Der blutige Tod des Gottessohnes läuft ab vor aller Augen. Es ist alles öffentlich! Die Bibel berichtet davon (Die Bibel, Lukasevangelium 23, 33 + 34 + 38):

 Und als sie an den Ort kamen, der Schädelstätte genannt wird, kreuzigten sie dort ihn und die Übeltäter, den einen zur Rechten, den anderen zur Linken. … Sie aber verteilten seine Kleider und warfen das Los darüber.Es war auch eine Aufschrift über ihm in griechischen und lateinischen und hebräischen Buchstaben: Dieser ist der König der Juden.

 

An der Schädelstätte (das ist ein Hügel namens Golgatha) wird Jesus gekreuzigt.  Die Kreuzigung ist öffentlich: Die Schädelstätte befindet sich nahe bei der Stadt Jerusalem. All die vielen Hunderttausend Pilger, die zum Passah in der Stadt waren, haben einen freien Blick von der Stadt zum Kreuz. Kein Baum, keine Anhöhe versperrt den Blick. Wahrscheinlich konnten sie sogar auf der Stadtmauer Platz nehmen und so in bequemer Sitzstellung dem Sterben Jesu zuschauen. Es ist alles öffentlich!

 

Pilatus, der römische Statthalter, fertigt dazu noch extra eine Tafel an, die mit Jesus zusammen festgenagelt wird. Und die ist nun wirklich ganz und gar öffentlich: Dreisprachig ist darauf zu lesen, wer hier warum stirbt. Dreisprachig: Hebräisch, griechisch, lateinisch! Wer kein Latein kann, versteht´s vielleicht auf Griechisch. Und wer dessen nicht mächtig ist, kriegt´s doch noch auf Hebräisch mit: Hier stirbt Jesus, der König der Juden. Auch der Letzte soll begreifen können, worum es geht. Es ist alles öffentlich!

Und dann, als das Kreuz längst aufgerichtet ist, und der Mann dort oben seinen Todeskampf kämpft, da sitzen seine Henker unten dabei und warten, dass es irgendwann still wird über ihnen. Nicht einmal die Kleider haben sie dem Verurteilten gelassen. Er wird dem frivolen Spott der Menge preisgegeben. Es gibt keine allerletzte Intimsphäre, keine Scham, keine Gnade. Und die Henker sitzen da und würfeln um die Kleider des Gekreuzigten:  Sie würfeln. Er stirbt. Und alle sehen zu.

 

Der Tod Jesu ist ein öffentlicher Tod. Es gibt keine allerletzte Intimsphäre. Alle sehen Jesus beim Sterben zu. Warum nur, so muss man fragen, hat Gott das so zugelassen? Warum nur hat Gott das so gemacht, dass der Tod seines Sohnes so öffentlich geschah? Warum nur ist der Tod Jesu ein so öffentlicher Tod?

Es gibt zwei Gründe dafür. Dies ist der erste: Der öffentliche Tod des Gottessohnes zwingt auch seine Feinde in die Öffentlichkeit. Der weithin sichtbare Tod Jesu zwingt auch seine Feinde dazu, sichtbar zu werden. Und Gott wollte, dass genau das geschieht: Gott hat es damals nicht zugelassen, dass sein Sohn still und leise in irgendeinem Winkel gemordet wurde, verborgen und unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Gott hat dafür gesorgt, dass an diesem Punkt, wo Menschheit und Gottheit zur entscheidenden Begegnung aufeinander treffen, alles hell ausgeleuchtet und weithin sichtbar ist.

 

Da ist das Volk: Das hatte Jesus gefeiert! Das hatte Brot erwartet und Macht und Glanz und Herrlichkeit! Aber Jesus brachte Buße und Gnade und Vergebung. Und das Volk wurde böse. Denn ein solcher Messias war nicht nach seinem Geschmack. Und so wurde Jesus gefeuert. Bis sein Tod beschlossene Sache war.

Da sind die Hohenpriester: Die hatten Jesus gefürchtet, weil er ihre Macht bedrohte. Und ihre Lügen entlarvte. Und sie gaben nicht Ruhe, bis sein Tod beschlossene Sache war.

 

Da sind die Pharisäer: Die hatten Jesus gehasst, weil er ihren Stolz bedrohte. Und ihre Heuchelei entlarvte. Und sie gaben nicht Ruhe, bis sein Tod beschlossene Sache war!

 Da ist Pilatus: Der  römische Politiker folgte seiner Feigheit. Der gab dem Volk nach. Und beugte das Recht. Und verdrehte die Wahrheit. Und verurteilte einen Unschuldigen zum Tode. Und machte den Tod Jesu zur beschlossenen Sache.

 

Da sind die römischen Soldaten (das Hinrichtungskommando) : Die kreuzigten Gottes Sohn. Gleichgültig, professionell und abgestumpft. Die führten einen Befehl aus, ohne zu denken: Bis der Tod Jesu eine abgeschlossene Sache war.

Und dann, als die Kreuzigung kommt, da müssen sie alle ins Licht: Das Volk, die Hohenpriester, die Pharisäer, Pilatus mit seiner Tafel, die römischen Soldaten. Alle sind sie da, als Jesus gekreuzigt wird, so berichtet die Bibel. Alles, was an Ichhaftigkeit, Machtgier, Lüge, Stolz und Heuchelei in der Menschheit steckt, muss heraus aus dem Dunkel ins Licht. Alles, was an Feigheit, Gleichgültigkeit und Unwahrhaftigkeit in der Menschheit steckt, muss heraus aus der Heimlichkeit in die Öffentlichkeit. Muss heraus zum Kreuz, an dem Gottes Sohn öffentlich stirbt. Am Kreuz Jesu wird Öffentlichkeit hergestellt. Da muss das Böse Farbe bekennen!

 

Am Kreuz Jesu wird Öffentlichkeit hergestellt. Da muss das Böse Farbe bekennen! Und darum will Gott, dass wir das Kreuz ansehen, an dem sein Sohn  verblutet. Er will, dass wir da hinsehen. Er will uns zeigen, wie es ausgeht, wenn sich Gott in die Hände der Menschen gibt. Er will uns zeigen, welche Konsequenzen es hat, wenn Gottes Sohn in die Hände der Menschen gerät. Gott will, dass wir da hinschauen zum Kreuz. Auch wenn´s uns schwer fällt! Damit wir merken, wer wir sind. Und wie wir sind!

 

In der US-amerikanischen Stadt Los Angeles gibt es seit ein vielen Jahren eine Methode mit Verkehrssündern umzugehen: Alle, die alkoholisiert Auto gefahren sind und erwischt wurden, werden in das Leichenschauhaus des Gerichtsmedizinischen Instituts von Los Angeles vorgeladen. Und dort gehen sie dann von Raum zu Raum. Und müssen in die zerschmetterten Gesichter von Menschen sehen, die von betrunkenen Autofahrern überfahren und getötet wurden. Viermal im Monat führt der leitende Beamte so eine Gruppe von zehn bis zwanzig Personen durch das Haus. „Wir wollen euch  nicht quälen“, sagt er seinen Besuchern immer wieder. „Was ihr seht, ist die Wirklichkeit. Ihr sollt sehen, welche Konsequenzen es hat, wenn man wie ihr handelt!“

 

Und genauso ist es auch mit dem Kreuz, an dem Gottes Sohn öffentlich stirbt: Gott will uns nicht quälen mit diesem Anblick. Er will uns die Wirklichkeit zeigen. Wir sollen sehen, welche Konsequenzen es hat, wenn unerlöste Menschen Gott in ihre Hände bekommen. Gott erspart uns den Anblick des zerschmetterten Körpers seines Sohnes nicht! Damit wir nüchtern werden und aufwachen und merken, wer wir sind. Und  begreifen, dass wir Erlösung brauchen!

Der Tod des Gottessohnes ist ein öffentlicher Tod. Aber nicht nur, weil Gott uns zeigen will, wer wir sind. Dabei bleibt er nicht stehen! Er will uns auch zeigen, - und das ist das Zweite - wer er selbst ist: Und darum, auch darum lässt er seinen Sohn diesen öffentlichen Tod sterben.

 

Wir sollen das sehen: Die Handgelenke Jesu verwundet von Nägeln. Die Füße verklebt von Blut. Wir sollen den Sohn Gottes sehen, dessen Zunge am Gaumen klebt und der leise und inständig um Wasser fleht. Wir sollen dort hinsehen und es nie vergessen: So weit geht Gott, dass er seinen  Sohn diesen schlimmen Tod sterben lässt. So weit gibt sich Gott in die Hände der Menschen, dass er das mit sich machen lässt. So weit geht Gott, so nah wagt er sich ran an die Menschen, dass sie ihn fest hämmern dürfen mit rohen Nägeln. So weit geht die Liebe Gottes, dass sie lieber all das erträgt, als uns Menschen zu verlassen. So weit geht die Liebe Gottes, dass sie sich lieber unter alles stellt, was wir Menschen an Bösem in uns tragen, als uns in Verlorenheit fallen zu lassen. So gewaltig ist die Liebe Gottes, so heilig, so ernst, so unbedingt, so kompromisslos, dass sie lieber den eigenen Sohn opfert, als uns unserm Schicksal zu überlassen. Und darum müssen wir das Kreuz ansehen!

 

Wir müssen das Kreuz ansehen, auch wenn es nicht schön anzusehen ist. Wir müssen das Kreuz ansehen und begreifen: Mit denselben Hammerschlägen, die die Nägel ins Holz des Kreuzes treiben, wird dort auch die Liebe Gottes festgeklopft. Mit denselben Hammerschlägen, die auf die Nagelköpfe niedersausen, wird dort auch die Liebe Gottes fest gehämmert. Mit denselben Seilen, die das Kreuz hochziehen und aufrichten, wird dort auch die Liebe Gottes hochgezogen und aufgerichtet: Damit sie jeder sehen kann! Jeder von uns. Jeder in unserem Land. Jeder in aller Welt.

Wir müssen das Kreuz ansehen: Weil es das Zeichen der Liebe Gottes ist. Weil es das Zeichen unserer Erlösung ist. Weil es uns zeigt, was Gott einsetzt und einsetzen muss, um uns zu retten: Seinen Sohn, nicht weniger! Wir müssen das Kreuz ansehen: Weil wir sonst nicht begreifen, wer wir selber sind, nämlich Leute, die Gott als Konkurrenz empfinden. Und noch viel weniger begreifen, wer Gott ist, nämlich der Heilige und der Liebende! Wir müssen das Kreuz ansehen: Weil es uns unsere Entfremdung von Gott zeigt. Und die noch viel größere Macht der Erlösung!  Wir müssen das Kreuz ansehen: Sonst kann uns nicht geholfen werden. Sonst werden wir Gott verfehlen!

 

Wir müssen das Kreuz ansehen! Nur dort ist Hilfe und Hoffnung!